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GEW-Info

Der Kreisverband Offenbach-Stadt gibt seit 1999 eine Mitgliederzeitschrift unter dem Titel "GEW-Info" heraus, die bei Bedarf erscheint. Dieses Info wurde ab dem Schuljahr 2001/2002 mit einer Auflage von 2500 Exemplaren für die Kreisverbände Offenbach Stadt und Land gemeinsam erstellt und über die Obleute an die Mitglieder verteilt. Seit 2004 ist wegen des Aufwands kein "großes" Info mehr erschienen, statt dessen wurden die Mitglieder durch kleinere Informationsschriften und über unseren Newsletter auf schnellere und unkomplizierte Weise informiert. Bei Bedarf kann auch wieder ein umfangreicheres Info erstellt werden. Bis es soweit ist, veröffentlichen wir neue Beiträge unter "Online lesen" auf dieser Seite. Für weitere Beiträge sind wir dankbar. Schülerinnen und Schüler sind ganz herzlich eingeladen, ihre Sicht der Schule darzustellen - wie die Beiträge auf unserer "Schüler-Seite".

Anschrift der Redaktion:
GEW-Info c/o Michael Köditz, Am Leinritt 10, 60386 Frankfurt (Main),
e-mail: info@gew-offenbach.de

 

Online lesen - neue Artikel

Das Märchen vom Bürokratieabbau

Die CDU versucht seit jeher, damit zu punkten, dass sie den Abbau von Bürokratie verspricht. Mit der FDP, die Freiheit schon im Namen führt, ist sie sich da einig. Statt stundenlanger Quälerei durch endlose Formblätter die Steuererklärung in zehn Minuten auf einem Bierdeckel zu erledigen - das trifft die Sehnsucht vieler Menschen.
Bürokratie ist verhasst - nicht zu Unrecht. Bürokratie ist Kontrolle, Ausübung von Herrschaft. Despotische Regimes sind für ihre besonders ausufernde Bürokratie berüchtigt. Es gibt auf der einen Seite Antragsteller, die zu Terminen bestellt und dort vielleicht gar in Schlangen warten müssen, bis sie gnädigst aufgerufen werden, und auf der anderen Seite selbstherrliche Offizielle, die anscheinend nach Lust und Laune all unser Tun be- oder gar verhindern können. Freundlich behandeln muss man sie, will man seine Chancen nicht verderben, während man ohnmächtig die Faust in der Tasche ballt. Eindrucksvoll hat Kafka die depressive Atmosphäre geschildert, in die uns Bürokratie versinken lassen kann.
Eigene Entscheidungen treffen und handeln können, ohne hilflos von der Willkür weltferner Paragrafenreiter abzuhängen, diese Freiheit wünschen sich alle. Und da treffen dann Versprechungen wie die von einer selbständigen oder gar autonomen (CDU meets Stirner) Schule, die dem HKM einfach mitteilen kann, welche Paragrafen sie behindern, damit die dann umstandslos abgeschafft werden, auf tiefe Sehnsüchte. Des ganzen Aufwands ledig zu sein, der durch eine Vielzahl oft widersprüchlicher Vorschriften entsteht, die mühselig umgangen werden müssen, über Finanzen verfügen zu können, ohne an Titel und Haushaltsjahre gebunden zu sein, wäre das nicht schön?
Leider machen sieht die Realität anders aus. Qualitätsmanagement, Entwicklungs- und Prozessdokumentation, Schulprogramm, Schulbenchmark, Akkreditierung, Portfolio: Umfangreiche Planungs-, Berichterstattungs- und Evaluationsinstrumente werden geschaffen. Daten müssen erhoben, Tabellen ausgefüllt, Aktenberge angehäuft werden. Zielvereinbarungen werden getroffen, Zielerreichungen gemessen, bewertet und überprüft. Früher musste man beantragen, wenn man etwas außer der Reihe machen wollte, heute muss man begründen und Tabellen ausfüllen, wenn man seine ganz gewöhnliche Arbeit machen will. Die Eintragungen in die diversen Formulare müssen abgestimmt werden: Konferenzen und Sitzungen aller Art geben sich ein Stelldichein. Um pädagogische Arbeit geht es da kaum, dazu ist keine Zeit. Die praktische Arbeit steht hintan. Die Berge bürokratischer Arbeit wachsen ständig, das will das HKM so. Zeitdeputate dafür gibt es aber keine, ganz im Gegenteil, die werden nach Kräften zusammengestrichen. Zwar sollen die neuen Arbeiten Unterricht und pädagogische Arbeit nicht schmälern, aber das ist aufgrund der Terminflut oft nicht zu realisieren. Und so wird an persönlichem Kontakt, an Beziehung, gespart, um sich Ordnern und Dateien widmen zu können.

Für die zweifelhafte Mehrbelastung gibt es Gründe:

  • Zum einen ist der Verwaltungsapparat gravierend ausgedünnt worden. Stellenstreichungen im HKM, Auflösung der RPs, Überhaufung der Schulämter und Schulleitungen mit neuen Aufgaben bei gleichzeitigem Abbau von Deputaten: Das hat Folgen. Die organisatorische Arbeit wird nach unten delegiert. Die Einführung von Portfolios etwa bedeutet, dass jede Lehrkraft einen Teil ihrer Personalakte selber führen muss. Organisatorische Entscheidungen auf unterer Ebene zu treffen, das wäre nicht unbedingt schlecht - wenn die untere Ebene dafür ausgebildet und entlastet würde. Beides ist allerdings nicht der Fall. Es geht schlichtweg um Sparen.
  • Zusätzlich vollzieht sich ein Paradigmenwechsel. Traditionelle staatliche bürokratische Abläufe werden zunehmend durch Verfahren ersetzt, die in der sogenannten freien Wirtschaft üblich sind. Das HKM arbeitet eng mit dem Verband hessischer Unternehmer zusammen. Nur: In der Wirtschaft geht es vor allem um ein Ziel, nämlich mit möglichst geringen Investitionen möglichst viel Profit zu erzielen. Verfahren, die diesem Ziel dienen, sind zur Bewertung pädagogischer Arbeit grundsätzlich ungeeignet. Denn bei der geht es um persönliche Entwicklung und Beziehungen. Menschlichkeit und Rendite sind nicht durchgängig kompatibel.
  • Entscheidungen nach unten zu delegieren, das macht oben Angst. Die Kontrolle will das HKM nicht aufgeben. Darum muss jetzt unten doppelt und dreifach beschrieben, gemessen und gerechtfertigt werden. Die entstehende Papierflut kann niemand mehr bewältigen. Vieles - z. B. der ganze Fortbildungsbereich - wird nur noch virtuell abgespeichert, das braucht weniger Platz, weil die Festplatten immer kleiner werden. Pädagogischen Sinn macht die ganze Mühe kaum.
  • Sparen in einem Bereich, der unsere Zukunft sichern soll, das ist nicht besonders populär. Durch vollmundige Qualitätsevaluierungen soll der Anschein erweckt werden, nun ginge es aufwärts mit der Bildung. In der Praxis werden Fördermaßnahmen in Schulen gestrichen, weil Lehrkräfte und SozialpädagogInnen fehlen, aber dafür werden Förderpläne aufgestellt. Das taugt immerhin für Presseerklärungen. Was wirklich passiert, merken zunächst nur die Betroffenen und die Fachkräfte. Zur nächsten Wahl kann sich die Bildungspolitik gut darstellen.


  • Die neuen Aufgaben müssen wir zusätzlich erledigen, anstelle bisheriger Freizeit. Die Folge: Jeder versucht, möglichst schnell Daten zu produzieren, die die Vorgaben erfüllen. Sowohl Zeit als auch Kompetenzen fehlen, wissenschaftlich zu untersuchen, aussagekräftig zu evaluieren. Inhaltliche Auseinandersetzungen in Arbeitsteams werden seltener. Reflektieren, sich austauschen, sich vernetzen, das ist Grundlage jeder professionellen pädagogischen Arbeit. Pädagogische Konferenzen, Elternarbeit, Supervision, Fortbildungen, das funktionierte besser ohne umfangreiche Evaluierungs- und Akkreditierungsmaßnahmen. Wo es nur darum geht, Daten abzuliefern, die eine mangelhafte Bildungspolitik schönfärben sollen, Effizienz nachzuweisen, optimale Kennziffern zusammenzurechnen, dort bleibt Bildung auf der Strecke.
    Wir müssen nicht dulden, dass sich die Regierenden als freiheitsliebende Antibürokraten feiern. Wir können sie entlarven: Die hessische CDU treibt die Bürokratisierung im Bildungsbereich energisch voran - auf Kosten der pädagogischen Beziehungen.
    Michael Köditz

     

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    In Namibia wie in Deutschland:
    Bildung ist die Lösung!

    Wenn jemand nach Namibia fliegt, so denkt er eher an afrikanisches Großwild denn an Bildung. Nun war meine erste Vorstellung auf dem Flug nach Windhoek weniger das Großwild als der Bau von Lehmhäusern; aber Bildung war zunächst kein Thema. Allerdings ging es bei den Lehmhäusern insofern um Bildung, als ich mit dem Auftrag unterwegs war, bei ruhender Arbeit (wegen der Regenzeit) Vorarbeiterinnen und Vorarbeiter in Mathematik zu unterrichten. Es handelt sich um ein vierjähriges Vorhaben, mit EU-Geldern eine preiswerte und solide Siedlung für etwa 1000 Menschen im Norden Namibias zu errichten. Nach 2 Jahren Bauzeit ist bereits mehr als die Hälfte gebaut und bewohnt. Am Ende des Projekts soll die Qualifikation der auf dem Bau Tätigen, die ohne Vorkenntnisse eingestellt worden sind und sich bewährt haben, so weit entfaltet sein, dass sie sich selbstständig machen können. Der Anteil der Frauen (Bau!) sollte möglichst 60% betragen. In der Klasse erwarteten mich 4 Frauen und 5 Männer ohne besondere Begeisterung. Auch ich war nicht voller Erwartung, war mir doch gesagt worden, die Leute wären des Rechnens schlicht nicht mächtig. So war es auch, denn einfache Einmaleinsaufgaben riefen Kopfzerbrechen und falsche Ergebnisse hervor.
    Die dann folgenden sechs Wochen Mathe-, Geometrie- und Politikunterricht zeigten jedoch, dass es neben den mangelnden Kenntnissen nicht nur eine hohe Lernbereitschaft sondern auch die kognitiven Fähigkeiten gab, um das auf dem Bau Benötigte zu lernen: Dreisatz, Zins-, Flächen- und Raumberechnung.
    Wie ist der Widerspruch zwischen angekündigter Unfähigkeit und raschem Lernerfolg zu verstehen? Und er war wirklich krass, denn fast die Hälfte der Klasse hatte die "Matrix", das Abitur nach 12 Schuljahren!
    Ein Blick auf das Schulwesen mag das erklären. Meine gewiss nicht gerade repräsentativen, aber immer wieder bestätigten Erkundigungen zeigten eine schlimme Situation. Entscheidend für die Qualität einer Schule ist nämlich ihr Standort: Liegt sie in einer "lokasi", einem reinen Schwarzenviertel, so sind die Leistungen von Schülern und Lehrern äußerst schwach. Denn die Lebensverhältnisse der Kinder sind so niederschmetternd von Armut geprägt, dass sprachlich, materiell, gesundheitlich und sozial keine Basis für Unterrichtserfolge und Schulleistungen besteht. Das gilt in gewissem Maße auch für die Lehrkräfte, sie sind oft demotiviert und uninteressiert. Die sechsjährige Schulpflicht gibt es erst seit der Unabhängigkeit Namibias in 1990, weiße Lehrkräfte aus den Privatschulen stellten sich kaum zur Verfügung und ausgebildete schwarze gab es praktisch nur in den Grundschulen. Dazu kommt noch, dass auch der räumliche Ausbau des Schulwesens in diesem doppelt so großen Land als die BRD in kurzer Zeit schlicht unmöglich war. Kurzausbildung und relativ gute Bezahlung der Lehrerinnen und Lehrer vermochten bis heute nicht, die Lage nachhaltig zu verbessern.
    So entstehen ganz unmögliche Bedingungen für das Lernen. In der 3. Grundschulklasse versuchen 45 Mädchen und Jungen ohne oder mit sehr wenig Schulmaterial einigermaßen klar zu kommen. Das gleiche gilt für die Lehrkräfte, die kaum mehr als Papier und Tafel mit Kreide haben. Unterrichtssprache ist bis auf wenige örtliche Randgebiete Englisch, aber was verstehen die Kinder, wenn sie in der Familie nur die native Sprache oder ein wenig Afrikaans lernten? Was lernen sie, wenn sie Rechenaufgaben schriftlich erhalten und den Text nicht verstehen? Was lernen Sie, wenn ihnen die Lehrerin Aufgaben der 6. Klasse gibt, weil die gerade im Lehrerzimmer lagen?
    In der Sekundarschule sind die Verhältnisse sehr unterschiedlich und wiederum von der Lage der jeweiligen Schule abhängig. In den "lokasis" das gleiche Bild wie in den Grundschulen, in den Weißenvierteln hingegen sind die Klassen seit der Unabhängigkeit gemischt und sie haben gute Voraussetzungen an Material und Lehrkräften. Hier lernen auch schwarze Jugendliche so, dass sie künftig wichtige Positionen in der Gesellschaft bekleiden können, aber es sind zu wenige um den Bedarf an schwarzer Technik-, Wirtschafts- und Politikelite zu erbringen.
    Dazu kommt noch der große Nachteil, dass Namibia keine Universität unterhalten kann. Die Apartheid-Herrschaft der Südafrikaner hatte bis 1990 dafür gesorgt, dass schulisch nur der weiße Nachwuchs gefördert wurde, danach wurde in Capetown oder Johannesburg studiert.
    Zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit nach der politischen hat Namibia noch einen weiten Weg vor sich. Wie lange wird es dauern, bis die übergroße schwarze Mehrheit des Landes ihr Land auch selbst steuern und verwalten kann?

    Wolfgang Christian

     

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    "Faule Säcke" auch in Rivas/Nicaragua
    Ein Erfahrungsbericht aus dem Sommer 2004

    Hals über Kopf brechen wir aus unserem Schulbetrieb nach Nicaragua auf, wo wir wieder in der Lehrersiedlung wohnen. Wir treffen u.a. Gloria wieder, die 1996 als gewerkschaftliche Vertreterin mit einer Delegation in Offenbach war. Fast in allen Lehrerhaushalten sehen wir nachmittags Schülerinnen und Schüler auf den Terrassen. Was steckt dahinter? Wir erfahren, dass die Lehrkräfte derart wenig verdienen - nämlich ca. 70 US $ - und dies bei einem extrem hohen Preisniveau in diesem armen Land -, dass sich viele gezwungen sehen, Nachhilfestunden zu geben, um ihr Gehalt ein bisschen aufzubessern. Was das für die Qualität des eigenen Unterrichts bedeutet, wenn die Lehrerinnen und Lehrer zur Existenzsicherung noch mehrere Hinzuverdienste annehmen müssen, kann sich jeder ausmalen.
    Die mangelhafte Qualität wird auch allerorten beklagt. Präsident Bolanos tat dies ebenfalls mit der Bemerkung, Lehrer seien "faule Säcke" (!) - eine für uns Deutsche nicht unbekannte Charakterisierung unseres Berufsstandes. Sie sollten sich gefälligst in den Ferien auf eigene Kosten weiterbilden. Fortbildung wird nicht als Aufgabe des Staates verstanden. Und noch eine andere Aufgabe sieht der Staat nicht als seine an: Die Lehrergewerkschaft ANDEN hat es geschafft, in den Arbeitskämpfen 2003 Lohnerhöhungen durchzusetzen. Als Gegenleistung ist ihr die Aufgabe aufgehalst worden, in dezentraler Verwaltung die Lehrerbeihilfe - also Sterbekosten, Hilfe bei Zahnersatz und Brillen - in dem jeweiligen Departement zu organisieren. Bei unserem Gespräch mit der örtlichen Lehrergewerkschaft in RIVAS saßen uns völlig entnervte Gewerkschafter gegenüber, die jetzt die an sie gerichteten Eingaben der Kollegen bearbeiten und darüber entscheiden sollen. Ca. 200 Briefe über Bedürftigkeit lagen auf dem Tisch, und ANDEN sollte über die Vergabe von 35 Brillen und einem Zahnersatz entscheiden!!! Die Gewerkschaft wird damit in einen unlösbaren Kampf gegen die eigenen KollegInnen geschickt, während sich der Staat seiner Verantwortung entledigt.
    Seitdem in den 90er Jahren die "Autonomie" der Schulen eingeführt worden ist, können Kinder nur die Schule besuchen, wenn die Familie für alles Mögliche einen Eigenbeitrag leistet, obwohl der Schulbesuch offiziell bis zum Abschluß der "primaria"- also der 5. Klasse - kostenlos sein soll: für das Ausleihen von Buechern, für Abschlussprüfungen, für Strom- und Wasserkosten der Schule etc.
    Die finanzielle Misere, in der sich viele Haushalte befinden, hat dazu geführt, dass mittlerweile 800 000 Kinder - das sind ca. 30% der Schülerschaft - nicht mehr in die Schule gehen und es ca. 1 Mio. Analphabeten gibt. Morgens, wenn man durch die Stadt läuft, begegnen einem viele Kinder, die Tortillas, Papayas u.a. verkaufen. Häufig entscheiden sich die Familien notgedrungen, nur den Sohn oder das am meisten geeignete Kind auf die Schule zu schicken. Alle anderen helfen mit zum Lebensunterhalt beizutragen.
    Und noch ein anderes Phänomen ist uns bei unserem Besuch begegnet: Selbst gut ausgebildete Jugendliche mit Uni-Abschluss suchen oft verzweifelt einen angemessenen Job. Da in Arbeitsplätze bzw. den Arbeitsmarkt wenig investiert wird und Stellen in Politik oder Verwaltung Jugendlichen mit Beziehungen vorbehalten bleiben, landen einige in einer Grauzone und halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. So arbeiten z.B. Hassell als Graphik-Designerin im Internet-Café und Ivania mit dem gleichen Abschluß als Verkäuferin in einem Handy-Laden. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, aber da der arbeitsmarktpolitische Kurs der Regierung nur darauf ausgerichtet ist, Multis ins Land zu holen und ihnen günstige Freihandelszonen einzurichten, und der bisherige Kurs des Internationalen Währungsfonds (IWF) darin besteht, den verschuldeten Ländern die Senkung der Staatsausgaben aufzuzwingen, kann man nicht damit rechnen, dass sich in dieser desolaten Lage so schnell etwas verändert, und die Kolleginnen und Kollegen in Nicaragua werden noch eine Weile unsere Solidarität benötigen.

    Gisela Teichmann

     

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    "Wenn es dir hier nicht gefällt, dann hau ab, Arschloch!"
    Oder: die Würde des Menschen ist antastbar

    Ein Mensch, nennen wir ihn Herrn Ypsilon, will umziehen. Nichts Ungewöhnliches in unserem Rechtsstaat. Jeden Tag verlassen zigtausende Menschen eine Wohnung, um in eine andere zu ziehen. Vor dem Umzug ist an vieles zu denken. Man muss nicht nur kündigen und die Wohnung übergeben, man muss einen Nachsendeantrag für die Post stellen, sich beim Meldeamt ab- und mit neuer Adresse anmelden und nicht zu vergessen sofern man hat, Gas und Strom abmelden. Herr Ypsilon weiß all dies. Der Reihe nach arbeitet er diese Aufgaben ab. Am Ende bleibt der Strom. Er ruft bei seinem Energie-Versorgungsunternehmen (EVU) an, teilt unter Angabe seiner Personalien und Stromzählernummer der netten Angestellten den Sachstand mit und erhält die Auskunft, dass man in 4 Tagen den Zähler ablesen werde und ihm dann die Abschlussrechnung zuschicken werde. Herr Ypsilon, ob der unbürokratischen Verfahrensweise erfreut, bedankt sich herzlich und legt auf. Wir schreiben den 27. Feb. im Jahr 2004. Herr Ypsilon ist beschwingt. Alles hat geklappt - sogar der Umzug und das Einrichten ging ohne Verdruss über die Bühne. Er kennt sich allmählich aus mit deutscher Ordnung und auch deutsche Metaphern sind ihm so fremd nicht mehr. So dachte Herr Ypsilon bis dahin; später würde er anders und anderes denken. Zehn Tage sind seit dem Umzug verstrichen, er geht noch einmal zu seiner alten Wohnung, er sieht Handwerker, die die alte Wohnung renovieren. Ihm fällt der Strom ein, der dabei verbraucht wird, sein Strom? Ihn befallen Zweifel. Herr Ypsilon ruft bei seinem EVU an, stellt die entscheidende Frage und seine Befürchtung wird bestätigt. Man habe seinen Zähler nicht ablesen können, da man keinen Zugang gefunden habe. Herr Ypsilon möge sich gedulden - innerhalb der nächsten Tage werde man tätig und dann sei alles geregelt. Herr Ypsilon bedankt sich nicht mehr und unterbricht die Verbindung. Wenige Tage später ruft er nochmals an, das Ergebnis ist dasselbe. Er beschließt, persönlich vorstellig zu werden. Ein schöner Tag dieser 17.März, ein wunderschöner Frühlingstag kündigt sich an. Herr Ypsilon macht sich auf den Weg. Er geht zu seiner ehemaligen Behausung, notiert Zählerstand und -nummer und begibt sich zum Bürgerbüro und dort geht er auf eine Dame zu, die hinter einem Tresen sitzt - die freundliche Kundenbetreuerin seines Energie-Versorgungs-Unternehmens. Er wünscht einen guten Tag, wird nicht unfreundlich nach seinem Anliegen gefragt und beginnt mit einem kleinen Vortrag bezüglich der Misshelligkeiten, die ihm bislang widerfuhren. Dem fügt er hinzu, die sich anbahnende Ungeduld der Dame bemerkend, er möchte dass sie die von ihm angegebenen Daten aufnimmt - was sie tut - und ihm eine kurze Bescheinigung ausstellt, mit welcher die ordnungsgemäße Abmeldung seines Zählers bestätigt wird. Letzteres sei nicht möglich, da sie die Korrektheit des von Herrn Ypsilon abgelesenen Einheitenstandes nicht überprüfen könne. Er möge noch etwas in Geduld sich üben bis, ja wann? Bis von offizieller Seite der Zähler abgelesen werde. Herr Ypsilon aber hat sich, so glaubt er wenigstens, lange genug geübt im Geduldigsein. Er ist doch kein Patient, was so viel heißt wie der Geduldige, des EVU, und dieses nicht sein Arzt. Er erklärt, dass es ihm lediglich um eine Bestätigung ginge, einen Beleg, für den ordnungsgemäßen Vorgang einer Stromzählerabmeldung und nicht um Quittierung seines verbrauchten Stroms. So etwas gäbe es nicht, habe man noch nie gemacht, da könne ja jeder .....- wird Herr Ypsilon von hinter dem Tresen beschieden. Die Dame, vielleicht überfordert von solch wahrhaft kuriosem Begehr, fordert ihn auf zu gehen, zu verschwinden oder in Luft sich aufzulösen. (der genaue Wortlaut ist nicht überliefert ) Herr Ypsilon ist weit entfernt davon dieser Forderung nachzugeben. Auch er ist längst nicht mehr die Ruhe selbst. Laut und für alle Umstehenden nicht zu überhören verkündet er: er werde solange hier an dieser Stelle stehen bleiben, bis sie seinem Wunsch nachgekommen sei, d.h. eine entsprechend Bescheinigung ausgestellt habe. Die Dame droht mit der Polizei - sie droht nicht nur, sie tut es auch - und ruft die Helfer in der Not. Diese lassen sich nicht lange bitten - eine Frau in Not?, da kommt die Staatsgewalt nicht gleich - sie kommt sofort! Ein Streifenwagen fährt vor den Eingang zum Bürgerbüro. Zwei Polizeibeamte steigen aus, kommen durch den Eingang und Herr Ypsilon geht auf sie zu. Er hebt an, sein Anliegen kundzutun. Er möge still sein und warten, wird ihm mitgeteilt. Derweil gehen die Beamten zu der Dame und lassen sich von ihr unterrichten. Zwischenzeitlich haben beide Handschuhe übergezogen. Sie kehren zu Herrn Ypsilon zurück und fordern ihn auf mit ihnen zum Einsatzfahrzeug zu kommen. Sie stehen zu dritt am Fahrzeug. Herr Ypsilon versucht den Sachverhalt zu erklären. Die Beamten hören nicht zu. Sie sagen, er solle gehen, den Ort, den Platz verlassen. Einer von den beiden sagt auch: wenn es Herrn Ypsilon hier nicht gefalle, dann könne er ja gehen .... wohin, das sagt er nicht. Herr Ypsilon will nicht gehen. Er will sein Vorhaben beenden, endlich diese lästige Sache sich vom Halse schaffen und deshalb bleibe er hier, an diesem Ort zu dieser Stunde. Das sagt er den Beamten. Besser wär's, er wäre gegangen. (Chor:) Denn dies ist eine Missachtung polizeilicher staatshoheitlicher Anweisung, der unbedingt Folge zu leisten ist, was viele nicht wissen und Herr Ypsilon weiß es auch nicht - woher denn auch? Die ausgesprochene Willensbekundung Herrn Ypsilons zu bleiben, sich zu widersetzen, das ist der casus belli. Jetzt läuft in den Köpfen der Beamten das Programm, man weiß, was zu tun ist und damit wird eine kleine Maschinerie in Gang gesetzt, die nicht mehr aufzuhalten ist. Eingeläutet wird das Procedere mit dem Ausruf des einen Beamten " .... dann macht es mir Spaß dich mitzunehmen." Da ist es das "du". Es ist herabsetzend und - wie die unangenehme Berührung durch einen Fremden. In diesem "du" steckt Achtungsverlust und Distanzlosigkeit, in ihm ist alles enthalten, dessen sich Herr Ypsilon, nunmehr geschrumpft auf dieses Distanz und "Herr" vernichtende "du", ausgesetzt sehen wird. Das "du" verkündet und schafft die Reduzierung Herrn Ypsilons auf ein Marionettendasein. Protest und Einfordern eines achtungsvollen Umgangs, sind in den Wind geredet, könnten, wenn er darauf bestünde, seine Lage nur verschlimmern - also fügt er sich der Macht. Er leert seine Taschen, stützt sich wie vorgeschrieben mit beiden Händen ans Autodach. Aufs Fahrzeug gestützt steht er in hilflos schräger Position. Er soll die Beine weiter auseinander nehmen, wird ihm gesagt. Das geht nicht schnell genug. Da hilft ein Beamter nach, in dem er mit seinem Stiefel die Innenknöchel des Delinquenten unsanft bearbeitet. Nun "liegt" Herr Ypsilon den Vorschriften entsprechend schräg in der Luft. Er wird abgeklopft. Eine Hand verliert sich heftig am Geschlecht - Herr Ypsilon schreit auf. Zur Beruhigung stößt man seinen Kopf ans Wagendach. Jetzt darf er sich aus der unbequemen Lage in den aufrechten Stand bringen. Die Hände werden ihm hinter dem Rücken gefesselt, schnell noch eine schmerzhafte Verdrehung der Handschellen und Herr Ypsilon wird in den Einsatzwagen verfrachtet. Im Wagen wagt er noch mal Protest: er sei kein Krimineller. "Halts Maul Arschloch" knurrt der neben ihm sitzende Polizist und drückt ihm nachdrücklich den Schlagstock schmerzhaft an den Hals. "Selber" sagt Herr Ypsilon, oder denkt er`s nur, da es ohne Folgen bleibt. Vor der Polizeiwache angekommen, darf Herr Ypsilon aussteigen. Beide Beamten schieben ihn vor sich her gegen die Hauseingangstür, gleich einem Sack, einem toten Ding, bis sie aufschwingt. Im Keller filzt man ihn erneut, nur diesmal gründlicher: Zentimeter für Zentimeter absolut gewissenhaft. Jetzt muss er noch seinen Gürtel abgeben (Suizidgefahr?) und wird in eine geflieste Zelle gesperrt. Ohnmächtige Wut, Zorn, Hilflosigkeit - die Gefühle rasen. Böse Erinnerungen tauchen auf. (davon kann an dieser Stelle nicht geredet werden ).Herr Ypsilon muss sich bewegen, also geht er auf und ab. Sechs Schritte hin und sechse her, wie lange weiß er nicht, hat keine Uhr. Später wird er fünf Stunden sagen, die er da gelaufen ist, um Wut und Ohnmacht zu entrinnen. (gut 3 Stunden waren's wirklich) Dann wird die Zellentür geöffnet. Ein Polizist sagt ihm, er könne gehen. Händigt ihm seine sieben Sachen aus und sagt adieu. Herr Ypsilon geht nachhause. Knapp vier Wochen später erhält er von der Polizeibehörde eine Zahlungsaufforderung über 56,-- EUR für den Polizeieinsatz. Und er bekommt ein Schreiben von seinem Energieversorgungsunternehmen. Darin teilt man ihm kurz und bündig mit: Sein Zähler sei am 4.3.04 abgelesen worden und füge eine Schlussabrechnung bei. Aus ihr geht hervor, dass das Unternehmen Herrn Ypsilon 121,-- EUR schulde. Man werde ihm einen Scheck zusenden. Auf den wartet Herr Ypsilon noch heute.

    Aufgeschrieben nach der Schilderung des Betroffenen von J.C. Günther

     

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    Die bisher erschienenen Ausgaben unserer Mitgliederzeitschrift
    (im pdf-Format - mit "acrobat reader" zu öffnen)

                              

      

      

    Sonderausgaben zu speziellen Themen

    Keine Zusammenlegung der beruflichen Schulen!
    Offener Brief des DGB (8/06) und Resolution der KKS als pdf-Datei (275 kb)



    Kein Geld für Bildung mehr?
    "Umsteuern" - Info der KV Hanau und Gelnhausen als pdf-Datei (148 kb)



    Keine Kürzungen bei Beamtengehältern!
    Info- und Protestmaterial zum Downloaden:
    Sparschwein-Info 1 gegen Kürzungen bei Beamtengehältern im pdf-Format (119 kb)
    Sparschwein-Info 2 gegen Kürzungen bei Beamtengehältern im pdf-Format (124 kb)
    Sparschwein-Info 3 gegen Kürzungen bei Beamtengehältern im doc-Format (410 kb)


    Gegen die Verschlechterung der Aus- und Fortbildung
    Fortbildung - Bedarf erheben und weitergeben - Info der GEW Offenbach 6/05 (doc-Datei, 275 kb)
    Mentorinnen und Mentoren brauchen Entlastung - Info der GEW Offenbach 7/05 (doc-Format, 104 kb)
    Entlastung wichtiger als "Leistungspunkte" - Info der GEW Offenbach 10/05 (doc-Format, 288 kb)
    Fortbildungspläne und Punktevergabe an Schulen - Info der GEW Offenbach 2/06 (doc-Format, 288 kb)

       

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